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20 Mio. Euro, zeitnah auf mein Konto bitte.

Ein Offener Brief an den Verband der Automobilindustrie (VDA) e.V.

 

Viele haben gemeckert, als bekannt geworden ist, dass BioNTech für den Covid-19-Impfstoff ursprünglich 54,08 Euro als Preis für eine Dosis ermittelt und bei der EU wohl auch in den Raum gestellt hat.

Ich finde, aus der Methode der Preisberechnung lässt sich etwas machen.

Preise für Waren orientieren sich in der Regel z.B. an Entwicklungs-, Material- und Produktionskosten sowie den Kosten der jeweiligen Unternehmen für z.B. Personal, Vertrieb, Logistik, ggf. Kundendienst – was ja gefühlt schon Seltenheitswert bekommen hat – und dann noch dem Gewinn. Mit Dienstleistungen ist es ähnlich, nur dass die Gewichtungen da anders sind. Wenn dann die Nachfrage hoch ist, ist der Preis höher. Wenn ein Produkt floppt wird es verramscht, oder u.U. ist das ganze Unternehmen Geschichte.

Die Pharmaindustrie, im Beispiel BioNTech, argumentiert für ihre Preise ganz anders. Da wird der mit einem Produkt vermeidbare Schaden als Größe für die Preisermittlung herangezogen (Kosten-Wirksamkeits-Modell). Also bei einem Impfstoff, z.B. im Fall der Corona-Pandemie, ein Preis der hochgerechnet wird auf Basis von möglichen Opferzahlen, möglichen Kosten im Gesundheitssektor, möglichen Wirtschaftsschäden – ungeachtet der Überlegung ob weniger Umsatz auf einem doppelt überlasteten Planeten denn überhaupt ‚Schaden‘ darstellen kann. Dann noch eine fette Verhandlungsmarge drauf, die man zur Schaffung von Wohltäterimage großzügig teilweise wieder nachlassen kann, und der Phantasiepreis für eine Impfdosis ist fertig. Pharma-schön ausgedrückt: der Nutzen eines Präparates ist Berechnungsgrundlage. Und weil man bei BioNTech wisse, dass so ein Preis unangemessen wäre, lautete das Angebot an die EU auf 54,08 Euro pro Dosis und beinhalte schon den „höchsten prozentualen Rabatt für ein Industrieland“ (SZ, 18.02.21). Auf der Basis, dass die Hälfte der EU-Bevölkerung mit dem Impfstoff von BioNTech geimpft werde.

Offenbar gab es sehr viel Wohltäterimage zu verhandeln, denn der Preis pro Dosis soll am Ende bei 15,50 Euro gelegen haben (offiziell geheim, wie SZ, NDR und WDR berichteten). Und das ist bestimmt immer noch ganz weit oberhalb von Verschenken.
In der Pharmaindustrie geht das. Ein Faktor von rund 3,5 zwischen Angebot mit „höchstem prozentualen Rabatt“ und schließlich vereinbartem Preis – und immer noch denken alle, wie gut dass es die Pharmaindustrie gibt.

Wie gesagt, ich finde aus dem Modell lässt sich etwas machen. Ich habe sogar eine noch interessantere Rechnung, die genau diesem Muster folgt.

Seit rund zehn Jahren besitze ich kein Auto mehr. Die erforderlichen Wege lege ich zu Fuß, per Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück. Ich habe auch nicht vor, mir ein Auto anzuschaffen. Das heißt es ist garantiert ausgeschlossen, dass ich mit einem eigenen Auto einen Menschen tödlich verletze. Ein Menschenleben gilt als unbezahlbar. Die Wahrscheinlichkeit, einen Unfall mit Todesopfer zu verursachen, ist sehr gering. Sehr sehr gering. Aber definitiv ist das Risiko gegeben. Mir kann das aber nicht passieren, da ich ja kein eigenes Auto habe. Deshalb fordere ich von der Automobilindustrie auch nur einen ganz ganz kleinen Teil von Unbezahlbar.
Ich sag mal, 5 Mio. Euro sollen am Ende auf meinem Konto sein. Also lautet meine Forderung 20 Mio. Euro. Ich möchte vom, sagen wir mal, weil da alle Beteiligten organisiert sind, Verband der Automobilindustrie 20 Mio. Euro haben, dafür dass ich kein Auto habe und deshalb unbezahlbaren Schaden nicht verursachen kann.
Die Tatsache, dass ich vielleicht zwei Dutzend mal im Jahr als Mitfahrer in einem Auto sitze und alle paar Jahre mal eine Fahrt mit einem Mietwagen mache, habe ich übrigens mit sehr großem Rabatt rechnerisch ausgeglichen mit der nicht zu verachtenden Gefahr, selbst von einem Auto tödlich verletzt zu werden. Und dass ich Rohstoffvorräte und besonders das Klima nicht mit einem Auto belaste – geschenkt! Obwohl das potentiell Millionen weniger Klimatote bedeutet – das schenke ich den Menschen. Ich will mich ja nicht unangemessen bereichern.

Also, lieber Verband der Automobilindustrie, 20 Mio. Euro bitte. Wenn Sie vollständig verzichten, darüber zu diskutieren, werde ich bei Gutschrift von nur 5 Mio. Euro auf meinem Konto ebenfalls auf Meckern verzichten. Ich bestehe aber darauf, mich in meinem Wohltäterimage der Automobilindustrie gegenüber ausgiebig zu sonnen und feiern zu lassen.
Beeilen Sie sich aber mal, geistreiche zukunftsfähige Fahrzeuge zu entwickeln und zu bauen. Ich möchte nämlich nicht, dass ich mich für dieses Image irgendwann noch rechtfertigen muss, weil ich drei Viertel der Forderung abgetreten habe und Sie das dann schamlos mit Untätigkeit ausgenutzt haben.

Deal?
Ich sage: Deal!

P.S.
Kleiner Hinweis noch, aber das kennen Sie sicher schon. Falls die Mitglieder des Verbands der Automobilindustrie – von Skandalen, Strafzahlungen und Klagefluten gebeutelt – den geforderten Betrag nicht mehr zusammenbringen, springt sicher gerne die Bundesregierung mit einer individuell gestrickten Subventionierung ein. Damit kennen die sich aus. So wurde schon so manches Thema vom Tisch geschafft. Ob für Nichtmehrnutzung von Atomenergie, nachdem sie den Menschen wiederholt um die Ohren geflogen ist, oder für Nichtmehrverfeuerung von Kohle zu einer Zeit wenn eh keiner mehr Kohle will, oder die Nichteinführung der Pkw-Maut, da hat der u.a. für Sie zuständige Minister ja auch prall gefüllte Geldtransporter aus dem Keller gezaubert. Fürs Nichtstun. Mein Nichtautofahren seit rund zehn Jahren und weiteres Fortsetzen des Nichtautofahrens, dafür nur 5 Mio., das ist ein Schnäppchen. Der Black-Friday-Preis für die Nichttoten. Für die 5 Mio. Euro dürfen Sie oder die Bundesregierung, ach was, da darf der ganze Staat sich mit 25 Prozent an meinem Nichtautobesitz beteiligen. Für jede weitere Million lege ich sogar selbstlos weitere 5 Prozent Beteiligung drauf.

Jetzt aber wirklich: Deal!

P.P.S.
Bei Interesse an einer 100-Prozent-Übernahme meines Nichtautobesitzes bleibt es dann aber bei 20 Mio. Euro. Mehr Rabatt geht wirklich nicht.

Mit besten Grüßen

Andreas Sanders

 

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