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Meine Rede bei den Fridays for Future in Rosenheim, 23. Juli 2021

 

In Deutschland werden jährlich fast 30.000 t pure Pestizid-Wirkstoffe zur Herstellung von sogenannten Pflanzenschutzmitteln verkauft.
Dazu kommt eine noch größere Menge für die Herstellung von Bioziden.
Auf jeden ha landwirtschaftliche Fläche werden jedes Jahr mindestens 2,8 kg purer „Pflanzenschutz“-Wirkstoff ausgebracht – zzgl. Biozide. Jeweils zu großen Mengen Spritz-Lösung verdünnt. Einige Wirkstoffe sind auf natürlichem Weg kaum abbaubar – z.B. Glyphosat, das mit einem JA aus Deutschland eine Zulassungsverlängerung auf EU-Ebene bekommen hatte. Trotz bekannter Schädlichkeit.

Die Bezeichnung Pflanzenschutz bedarf Hinterfragung.
Der Begriff hat ausschließlich die Ertragspflanzen im Blick, und zwar unter Maximierungsaspekten. Tatsächlich geht es um großflächige Vernichtung von Pflanzen, die die konventionellen und Industrie-Landwirte nicht auf ihren Äckern haben wollen – obwohl sie für Insekten und andere Tiere wichtig und insgesamt ökologisch vorteilhaft wären.
Von den mit Biodiversitätsverlust erkauften maximierten Ernten landet gegenwärtig etwa ein Drittel ungenutzt im Müll. Ein Teil gelangt erst gar nicht in den Handel weil die geernteten Dinge irgendwelchen Größen-, Form- oder Aussehensnormen nicht genügen. Wobei die Normen nichts mit Natur oder Gesundheit zu tun haben, sondern auf Überfluss und Bürokratie beruhen.
Würde die Gesamtverschwendung in der ganzen Kette von Produktion bis Vernichtung um 50 Prozent verringert, hätte das mit Blick auf die Energiebilanz den gleichen Effekt wie die Stilllegung jedes zweiten PKW.
Da verstehe noch jemand, dass Containern verboten ist.
In Zeiten von Hochwasserkatastrophen, Dürren, Bränden, oder die aus CO2-Emissionen resultierende Ozeanversauerung, mit der die nächste Welle von Artensterben bereits eingeläutet ist. Und dann sind wir wieder beim Thema Nahrungsmittel.

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Pestizide sind im Grundwasser messbar.
In Oberflächengewässern sowieso – da wird aber seltener gemessen, weil es weniger Vorschriften gibt.
Pestizide sind in der Luft messbar – sogar solche, die in Deutschland gar keine Zulassung haben.
Deutsche Unternehmen produzieren und verkaufen Pestizide, die hier längst nicht mehr zugelassen sind, in andere Länder. Auf Obst und Gemüse, das aus diesen Ländern importiert wird, sind die Wirkstoffe messbar.
Z.B. Chlorpyrifos, das nachgewiesen massive Gehirnschäden und Entwicklungsstörungen bei Embryonen und Babys verursacht. Bei Erwachsenen wirkt es nervenschädigend.
Diese Zustände sind bekannt, seit Jahren. Im Gegensatz zu anderen Ländern haben Merkel und all ihre Minister*innen darauf nicht reagiert. Regierung und Parlament schützen Geschäftemacher, die Leben und Lebensgrundlagen vernichten.

Wie kann es sein, dass schädlich hergestelltes Essen (LEBENSmittel mag ich das gar nicht nennen) deklarationsfrei zu kleinen Preisen verkauft werden darf?
Ökologisch vertretbar hergestellte Nahrungsmittel aber u.a. mit kostenverursachenden Biolabeln und Betriebskontrollen verteuert werden.

Wie kann es z.B. sein, dass in Deutschland weit über 300 Zusatzstoffe in Lebensmitteln zugelassen sind, darüber hinaus zahlreiche sogenannte Verarbeitungshilfsstoffe? Vieles davon ist pure Chemie für kleines Geld. Kleines Geld, weil Kosten für dadurch verursachte Schäden sowie produktionsbedingte Schäden nicht im Preis enthalten sind.
Wie kann es sein, dass die Bundesregierung selbst nur etwa die Hälfte der Zusatzstoffe als unbedenklich bezeichnet. Wobei sie auch Stoffe so bewertet, zu denen nur sehr lückenhaft Daten existieren. Zur anderen Hälfte schreibt sie, dass die Stoffe Schäden und Krankheiten verursachen können.
Und doch darf das mit Genehmigung der Politik ins Essen gemixt werden. Was soll dieser Unfug?!
In Brot z.B. gehört nichts anderes als Mehl aus Biogetreide, Sauerteig, Wasser und etwas Salz. Aber mit dieser Zutatenliste kostet es das Zwei-, Drei- oder gar Fünffache wie der undeklarierte Chemiebaukasten?
Teiglinge für Backwaren werden per LKW quer durch Europa gefahren – zu Industrie-Bäckereien in Deutschland. Manche Teiglinge werden sogar per Flugzeug halb um die Erde geliefert. Der Chemiebaukasten kostet halt kaum etwas. Die Emissionen noch weniger oder gar nichts.
Die Verhältnisse gehören genau andersherum! Jeder Schaden, der von Landwirtschaft bis Konsum eines Produktes entsteht, gehört deklariert und eingepreist. Das wäre die effektivste Landwirtschafts- und Lebensmittelpolitik hin zu einer naturverträglichen und damit Lebensgrundlagen schützenden Wirtschaftsweise. Verbraucher könnten selbst entscheiden und würden nicht mehr getäuscht und bevormundet.
Diese Zusammenhänge waren Teil meiner erfolgreichen Klimaklage vor dem BVerfG. Dieser Teilaspekt wurde zwar nicht tiefgreifend behandelt. Dennoch greift die Entscheidung des BVerfG mit Blick auf die Freiheitsrechte auch in diesem Zusammenhang! Mit der industriellen Landwirtschaft verschlechtern sich z.B. Bodenqualität, Artenvielfalt, Wasserqualität und -verfügbarkeit zusehends. Mit pestizid- und chemiebelastetem Essen verschlechtert sich der Gesundheitszustand der Menschen.
Auch diese Aspekte fallen unter Artikel 20a GG – „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen für nachfolgende Generationen“. Das BVerfG hat diesem Artikel den Rang eines Grundrechts gegeben. Art. 20a GG ist in Verbindung mit den Grundrechten einklagbar.

Ohne grundsätzlichen Wandel hin zu Nachhaltigkeit reichen allein die Treibhausgasemissionen aus der globalen Nahrungsmittelproduktion aus, dass das Abkommen von Paris scheitern wird. Die Lösung dieses Problems braucht zwar übergeordnete Normierung, findet aber tatsächlich lokal und regional statt.
Deshalb – die Forderungen der Fridays for Future an die Rosenheimer Politik sind absolut gerechtfertigt! Z.B.:

  • Weniger Verschwendung und Vernichtung von Lebensmitteln. Durch neue Angebote zur Weiternutzung, und z.B. auch durch Unterstützung des Foodsharing Projektes in Rosenheim,
  • Förderung von ökologischer, nachhaltiger Landwirtschaft,
  • Förderung von regionalen Bio-Erzeuger-Wochenmärkten sowie Läden für fair, regional und ökologisch produzierte Lebensmittel und andere Waren,
  • Sehr deutliche Erhöhung des Anteils vegetarischer und veganer Gerichte in allen städtischen bzw. kommunalen Verpflegungseinrichtungen sowie bei allen öffentlichen Anlässen, wie z.B. der Wiesn.

Mit euren „Forderungen“ bringt ihr euch aktiv in die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft ein. Das ist gut und dabei unterstütze ich euch gerne. Denn die Gestaltung seitens derer, die für diesen Job gewählt waren und die dafür aktuell im Amt sind, liegt weit – viel zu weit – hinter dem Erforderlichen zurück, um euch ein Leben mit gleichen Freiheiten zu ermöglichen.
Euer Engagement sollte die Rosenheimer Politik und Verwaltung als Angebot verstehen – z.B. die Forderung nach einem Jugendrat. Denn nur mit BETEILIGUNG von euch jungen Menschen kann es gelingen, eine generationengerechte Basis für die Zukunft zu schaffen. Ich appelliere an den OB Andreas März, dieses Angebot zur Kooperation seriös anzunehmen.
Herr März, damit haben sie die wunderbare Chance, Rosenheimer Politik zum Vorbild zu machen.
Generationengerecht, Sozial ausgewogen, den vielen Klima-, Natur- und Umweltproblemen angemessen begegnend.

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Wenn die in Verantwortung stehenden Politiker euch jedoch nicht zuhören und eure Grundrechte missachten, dann klagt! Der Beschluss des BVerfG von März 2021 macht das möglich – auch mit Bezugnahme zur lokalen Politik und Verwaltung. Ein gerade in dieser Woche fertig gewordenes Rechtsgutachten bestätigt das. Denn auch für Lokal- und Regional-Politiker und die Verwaltung ist das Grundgesetz verpflichtend – inklusive einer garantierten ökologischen Existenzgrundlage, in Anlehnung an Art. 20a GG.
Ich werde euch auch mit allem Wissen aus der Klimaklage unterstützen, falls sich lokale Politik und Verwaltung auf Kosten eurer Zukunft gegen eine Kooperation entscheiden.
Eure und unser aller Grund- und Menschenrechte sind kein „Nice-to-have“ sondern das verbindliche Fundament für alle.
Das Abkommen von Paris ist rechtsverbindlich und verpflichtet von der Bundes- bis zur lokalen Ebene in allen thematischen Sektoren zu einer 1,5-Grad-konformen Politik!

Unfassbar, dass aktuell ganz andere Verhältnisse zu beobachten sind.
Keine der im Parlament vertretenen Parteien – und auch so gut wie ausnahmslos keine andere Partei – tritt mit einem Wahlprogramm zur Bundestagswahl an, das den Anforderungen des Grundgesetzes gerecht wird. Keins der Wahlprogramme ist geeignet, die Begrenzung der Klimaerhitzung auf 1,5° C auch nur ansatzweise in den Bereich des Möglichen zu rücken! Keine der Parteien achtet die Entscheidung des BVerfG, dass das Abkommen von Paris bindend ist! Damit schützt keine der Parteien die Freiheitsrechte wie es vom Gericht angemahnt wurde!
Diese von Missachtung und jetzt sogar von angekündigtem Verfassungsverstoß geprägte Politik muss endlich aufhören!
Wir haben ein vom Verfassungsgericht bestätigtes Recht darauf, dass Politiker ihren Job auf Basis des besten wissenschaftlichen Erkenntnisstandes machen müssen. Dabei haben sie nicht Partikularinteressen sondern die Grund- und Menschenrechte ALLER zu fördern und zu schützen!
Das muss hier in Rosenheim Standard sein – und in jeder anderen Gemeinde und auf Landes- und Bundesebene genauso.

 

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