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Noch mehr Wurst wird niemanden retten

 

Die Welt spricht über nicht ausreichende Weizen-/Getreideproduktion und Hunger als Folgen des russischen Krieges in der Ukraine. Mit Auswirkungen von globalem Maßstab. Aber dann kommt Herr Özdemir, der bisher eher schweigsame Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, redet über Preise für FUTTERmittel und gibt den Aufwuchs auf rund 1,2 Mio. ha ökologischer Vorrangfläche als FUTTERmittel frei.*1 Begleitet von Statements über den Krieg, denen niemand widersprechen wird. Und natürlich sind auch „Klimakrise und Artensterben“ in seiner Pressemitteilung genannt, wo ebenfalls kaum noch jemand widersprechen wird. Aber das mit der „Versorgung der Weltbevölkerung“ zu vermengen, wenn er über Tierfutter spricht, empfinde ich als zynisch.

Geht es ihm tatsächlich um die Versorgung der Weltbevölkerung, oder einfach nur um den Erhalt längst nicht mehr tragbarer Produktions- und Marktverhältnisse in der deutschen Landwirtschaft? Glaubt er denn, dass Fleischlieferungen aus Deutschland einen Ersatz für Weizen aus der Ukraine darstellen? Hat er noch nie über das Verhältnis von Primärnahrung zu Sekundärnahrung gehört? Sind ihm Ernährungsweisen in verschiedenen religiösen Kontexten unbekannt? Hat ihm im Ministerium noch niemand gesagt, das es in Deutschland bereits eine Überproduktion von Fleisch gibt? Für die zudem Regenwald gerodet wurde und wird!

In der Pressemitteilung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) vom 11. März 2022 wird Özdemir zitiert: „Wir können es uns aber nicht leisten, dass wir jetzt andere Krisen ausblenden, die schon heute für Hungersnöte auf der Welt sorgen. Auch wenn manche das gerne ausblenden, Klimakatastrophe und Artensterben sind real existierende Probleme, die wir lösen müssen.“*1 Natürlich muss man zustimmen. Aber will er das mit Export von beispielsweise Leberpastete und Würsten erreichen? Hat er die Farbe der Partei vergessen, der er (zumindest formal) angehört?

Will Özdemir den landwirtschaftlichen Überschuss im Tiersektor noch weiter vergrößern? Wieder zu Lasten von Insekten, Vögeln, Bodenorganismen und Bodenqualität? Bewusst ist ihm die Dimension offensichtlich. Vorsorglich warnt er davor, „Krisen gegeneinander auszuspielen“. Er argumentiert jedoch mit K.O.-Formulierungen wie dieser: „Wem Nahrungssicherung wirklich ein Anliegen ist, der schützt die Ressourcen, die die Landwirtschaft braucht, um gut und ausreichend produzieren zu können – nicht nur heute, sondern auch künftig!“ Warum entscheidet er sich dann für Maßnahmen, die das Gegenteil bewirken? Zwischenfrüchte und Pflanzen von Brachen zu verfüttern, verschlechtert die Möglichkeiten der Bodenverbesserung für die Zukunft. Und wenn auf diese Art noch mehr Fleischüberschuss produziert wird, ist das Irrsinn, denn die momentane Produktion liegt bereits weit jenseits von „gut und ausreichend produzieren“.

Will Özdemir denn Fleisch als Ersatz für Weizen in den Nahen und Mittleren Osten exportieren? Will Özdemir, dass der subventionierte Export von „Abfällen“ aus der Geflügelschlachterei (fast alles außer Brustfleisch) nach Afrika ausgeweitet wird? Um noch mehr dort arbeitenden Bauern die Existenzgrundlage zu schmälern oder ganz zu zerstören? Und wenn im Zuge solcher Politik noch mehr Gülle anfällt – die jetzigen Mengen sind schon zu viel für gesunde Landwirtschaft (oder im Klartext: bodenzerstörend) – soll die dann vielleicht über z.B. Weser und Ems direkt in die Nordsee geleitet werden?

Ist es denn wirklich so schwierig, derart wichtige Posten wie das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft mit wissenschaftlich vernetzt denkenden und entsprechend handelnden Menschen zu besetzen? Menschen, die sich nicht von der Lobby der Agrarkonzerne und industrialisierten Lebensmittelkonzerne einlullen und vernebeln lassen.

Was Özdemir da beschlossen hat, führt zweifelsfrei zu gern mitgenommenen Profitgeschäften solcher Konzerne. Voraussichtlich zum weiteren Schaden für bäuerliche Familienbetriebe. Vor allem ist es völlig sinnentleert in Bezug auf die kommenden globalen Lücken in der Verfügbarkeit von Getreide.

Ich halte solche Politik für zynisch gegenüber von Hunger bedrohten oder bereits hungernden Menschen. Und sie versucht, durch zynische Ausnutzung des russischen Krieges in der Ukraine, die Profitinteressen des rücksichtslos natur-, klima- und umweltschädlich agierenden industrialisierten Teils des Tiersektors der Landwirtschaft zu bedienen.

Mir erscheint es rekordverdächtig, wie schnell und wie deutlich Özdemir selbst bestätigt, was viele bei seiner Nominierung gesagt haben: Falschbesetzung!

Es ist enttäuschend, zu sehen, dass schon wieder ein Minister nicht auf dem Weg ist, den wahrscheinlich am stärksten von Konzerninteressen korrumpierten Politikbereich in natur-, umwelt- und menschenfreundliches Fahrwasser zu leiten. Wiederholt ist seit vielen Jahren über die Filzclique des landwirtschaftlichen Konzernnetzwerks ausführlich berichtet worden. Bis hin zur namentlichen Nennung derer, die im Bundestag, im Landwirtschaftsausschuss und im Landwirtschaftsministerium ihr Lobby-Unwesen treiben. Hat Özdemir das nicht gelesen, nicht mitbekommen?

Ich empfinde jetzt schon sehr viel Hoffnung zerstört. Auch wenn Özdemirs Vokabular ein positives Bild unterjubeln möchte, der nähere Blick spricht eher dafür, dass das in diesem Sektor liegende sehr große Potenzial für positive Entwicklungen im Natur-, Klima- und Umweltschutz in den vier Jahren dieser Legislaturperiode schon wieder nicht genutzt werden wird. Darunter viele Möglichkeiten, mit denen es gleichzeitig den landwirtschaftlichen Durchschnittsbetrieben, den bäuerlichen Familienbetrieben, besser gehen würde.

 

*1 https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/28-ukraine-krieg-massnahmen-landwirtschaft.html
Stand vom 12.03.2022

 

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