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Verfassungsbeschwerde wegen unterlassenem Klimaschutz

Am 23. November 2018 ist dem Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde „gegen das Unterlassen geeigneter gesetzlicher Vorschriften und Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels durch die Bundesrepublik Deutschland“ zugestellt worden.

Ich bin einer der Beschwerdeführer.

Die Verfassungsbeschwerde ist von der Rechtsanwältin Franziska Heß und ihrem Team (BAUMANN Rechtsanwälte in Leipzig) mit großem Einsatz zusammengetragen und formuliert worden.

Dabei geht es um die Verletzung mehrerer Grundrechte, d.h. auch Menschenrechte, die durch das Grundgesetz garantiert sind.
Es gibt 11 individuelle Beschwerdeführer sowie zwei beteiligte Vereine – der Solarförderverein (SFV), der die Verfassungsbeschwerde finanziert hat sowie der BUND. Ob die Vereine jedoch vom Bundesverfassungsgericht als Beschwerdeführer anerkannt werden ist offen, denn es bedarf einer individuellen Betroffenheit. Der Zusammensetzung der Gruppe entsprechend gibt es unterschiedliche Betroffenheiten, die dem Verfassungsgericht dargelegt worden sind. Aus Datenschutzgründen beschränke ich mich hier auf meine eigene Darlegung der individuellen Betroffenheit:

Zitat Anfang

Beschwerdebefugnis des Beschwerdeführers zu 9.)
(Andreas Sanders – geb. 16.2.1962)

Der Beschwerdeführer sieht sich durch das Unterlassen des Gesetzgebers, die geeigneten Maßnahmen gegen den Klimawandel zu erlassen, in seiner freien Entfaltung der Persönlichkeit in Form des Grundrechts auf allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG verletzt und in diesem Recht selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen. Er ist beschwerdebefugt.
Der Beschwerdeführer sieht sich in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit verletzt, da ihm durch unterlassene Maßnahmen des Gesetzgebers eine klima- und umweltschonende oder auch klimaneutrale Lebensweise verwehrt wird und ihm nahezu unmöglich gemacht wird. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass der Gesetzgeber es unterlassen hat, die geeigneten Maßnahmen gegen den Klimawandel zu treffen. Er sieht sich hierdurch vor allem in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit, ein klima- und umweltschonendes oder klimaneutrales Leben zu führen, verletzt. Der Beschwerdeführer sieht seine Handlungsfreiheit vor allen in den Bereichen Mobilität und Ernährung als beeinträchtigt an.
Der Beschwerdeführer wohnt im ländlichen Raum im Bundesland Bayern. Zur Sicherung des grundlegenden notwendigen Lebensunterhalts ist er, im ländlichen Raum lebend, auf Mobilität angewiesen. Er besitzt bewusst aus Klima- und Umweltbeweggründen kein eigenes Kraftfahrzeug. Mit einem unterdurchschnittlichen Einkommen ist ein unter Klima- und Umweltschutzaspekten zu bevorzugendes Elektrofahrzeug für ihn nicht erschwinglich. Öffentliche Mobilität existiert zwar, jedoch zum Teil nicht zu Tageszeiten, die für ihn aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit erforderlich wären. Zudem weist das regionale Bahnunternehmen extrem viele Verspätungen und auch Zugausfälle auf. Zwischen Wohnung und Startbahnhof existiert zu den erforderlichen Zeiten kein Busverkehr.
Der Fußweg zwischen Wohnung (in Bad Endorf Antwort) und Bahnhof (in Bad Endorf) beträgt etwa 30 Minuten. Diesen Weg geht der Beschwerdeführer arbeitstäglich zweimal. Einkäufe sind im Nachbarort (Bad Endorf) möglich, jedoch mit einem Fußweg hin und zurück von jeweils 30 bis 60 Minuten verbunden (je nach Geschäft). Ein alltäglicher Einkauf ist auf diese Weise kaum noch möglich.
Der Wunsch und das Bemühen des Beschwerdeführers, sich klima- und umweltschonend bzw. möglichst klima- und umweltneutral zu verhalten und zu leben, ist, was Mobilität betrifft, mit erheblichem Mehraufwand verbunden und dennoch in Teilen nicht realisierbar.
Alternativen würden darin bestehen, entweder den Wohnort zu wechseln, den Arbeitsplatz zu wechseln oder sich klima- und umweltschädlich zu verhalten, indem er sich mit einem herkömmlichen, aus Finanzierbarkeitsgründen sehr wahrscheinlich älterem Auto am Individualverkehr beteiligt. Der Beschwerdeführer möchte durch seine Lebensweise und sein Verhalten nicht zur Schädigung der Gesundheit Dritter beitragen und richtet sein Verhalten ebenfalls an der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG aus, wonach er Verantwortung für künftige Generationen übernimmt und die natürlichen Lebensgrundlagen und Tiere schützt. Diesem Auftrag kommt der Gesetzgeber nicht nach, so dass auch für den Beschwerdeführer ein Eingriff in seine allgemeine Handlungsfreiheit festzustellen ist. Darüber hinaus kollidiert die Forderung der Bundesregierung, jeder solle sich am Klimaschutz beteiligen (vgl. bspw. Internetauftritt des BMUB, https://www.klimaschutz.de/ziele-und-aufgaben) mit dem Genuss von Grundrechten, hier in Form der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Freizügigkeit. Der Beschwerdeführer sieht sich darüber hinaus in der Freiheit des Gewissens und der Weltanschauung beeinträchtigt, da die früheren und jetzigen politischen Entscheidungen eine Situation und Rahmenbedingungen geschaffen haben, die seine Lebensgestaltung im Einklang mit seinem Gewissen und den klimatischen Erfordernissen einschränken oder sogar unmöglich machen und ihn in ernsthafte Gewissensnot bringen.
Eine Verletzung der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit macht der Beschwerdeführer auch in Hinsicht auf seine Ernährung geltend. Der Beschwerdeführer rügt, dass klima- und umweltfreundlich produzierte Lebensmittel als solche kostenverursachend gekennzeichnet seien, während klima-, umwelt- und gesundheitsbelastende industriell gefertigte Lebensmittel als solche deklarationsfrei vertrieben werden dürften. Dazu komme, dass die aus der Produktion sowie aus dem Konsum konventioneller/industriell gefertigter Lebensmittel resultierenden Klima- und Umweltschäden nicht in den Preisen für diese enthalten sind und somit auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. Der Beschwerdeführer vertritt dagegen die Ansicht, dass es an einer Deklarationspflicht für konventionell/industriell gefertigte Lebensmittel mit einer schadensbezogenen Gebühr bedarf. Der Beschwerdeführer sieht sich dadurch als persönlich betroffen an und weist dies anhand der Darstellung eines durchschnittlichen Vorratseinkaufs, den er sowohl in einem Discounter und einem örtlichen Biomarkt getätigt hat, nach. Er hat zu diesem Zweck die Preise für Produkte, die er zu großen Teilen aus einem Discounter (auch Produkte mit EU-Bio-Zertifizierung, die jedoch nicht dem umwelt- und klimaneutralen Anspruch des Beschwerdeführers genügen) bezogen hat und für die vergleichbaren Produkte aus einem örtlichen Biomarkt gegenübergestellt.
Beweis: Preisgegenüberstellung der Einkäufe als Anlage BF 35
Dem Discounter-Einkauf mit einem Gesamtpreis von 146 Euro steht ein Gesamtpreis für den Einkauf im örtlichen Biomarkt von 337 Euro gegenüber. Der Einkauf von klimaschonenden oder im besten Fall klimaneutralen Produkten im örtlichen Biomarkt wäre somit etwa um das 2,3-fache teurer als der Einkauf von konventionell/industriell gefertigten Produkten in einem Discounter. Für den Beschwerdeführer besteht mit seinem unterdurchschnittlichen Einkommen somit nicht die Möglichkeit, durch sein Konsumverhalten bei Lebensmitteln zum Klimaschütz beizutragen.
Der persönliche und sachliche Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG ist vorliegend für den Beschwerdeführer eröffnet. Als natürliche Person ist für den Beschwerdeführer der persönliche Schutzbereich eröffnet. In sachlicher Hinsicht ist der Schutzbereich ebenfalls eröffnet. Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG schützt die Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne (BVerfGE 54, 143 (144), 108 (154 f.); 97, 332 (340)). Geschützt ist somit die Freiheit zu jedem beliebigen Tun und Unterlassen. Der Umfang des Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit ist gegenständlich nicht beschränkt, in ihn fällt jedes menschliche Verhalten ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht ihm für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt (BVerfGE 80, 137 (152)). Hinzukommt, dass nicht nur das Handeln, sondern auch das Nichthandeln geschützt wird (Murswiek/Rixen in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl., Art. 2 Rn. 52). Art. 2 Abs. 1 GG stellt die Lückenlosigkeit des grundrechtlichen Freiheitsschutzes und der verfassungsrechtlichen Kontrolle freiheitseinschränkender staatlicher Maßnahmen sicher. Eine staatliche Maßnahme kann dabei auch in einem Unterlassen bestehen.
Ein Eingriff in das Grundrecht des Beschwerdeführers auf allgemeine Handlungsfreiheit ist vorliegend durch das Unterlassen des Gesetzgebers, die geeigneten Maßnahmen gegen den Klimawandel zu erlassen, festzustellen. Wie bereits im Rahmen der Beschwerdebefugnis unabhängig von der individuellen Lebenssituation dargelegt, kommt der Gesetzgeber seinem aus Art. 20a GG resultierenden Verfassungsauftrag durch das Unterlassen zwingend notwendiger Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels nicht nach. Durch das Unterlassen des Gesetzgebers fehlen legislative Maßnahmen auch in den Bereichen Mobilität und Landwirtschaft und Gebäude, die den Beschwerdeführer ganz konkret und individuell auch in seiner freien Entfaltung der Persönlichkeit in Form einer nachhaltigen und klimaschonenden Lebensweise berühren und ihm diese erschweren oder gar unmöglich machen. Aus der Verletzung des Verfassungsauftrags aus Art. 20a GG resultiert für den Beschwerdeführer somit zugleich ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit, da die unterlassenen legislativen Maßnahmen auch seine Handlungsfreiheit in den konkret bezeichneten Bereichen einschränken.
Zitat Ende

Ich hätte gerne einen weiteren Aspekt in der Verfassungsbeschwerde aufgenommen gesehen. Das ist nur leider juristisch schlecht bzw. nicht darstellbar.

Trotzdem beschreibe ich diesen Aspekt an dieser Stelle, weil dabei sehr anschaulich wird, wie weitreichend die Defizite der großen Mehrheit der Bundestags- und Bundesratsmitglieder als gesetzgebende Kraft und der Bundesregierung als ausführende Kraft tatsächlich sind. Mit Menschenrechte verletzenden Konsequenzen für die nächsten zig Jahre:

„Thema Wohnen

Die Kanzlerin hat im August 2010 auf ihrer „Energiereise“ durch Deutschland auch ein Plus-Energie-Haus der TU Darmstadt besichtigt, das mehr Energie erzeugt als für Bewohner und Nutzung benötigt wird. Auf der gleich anschließenden Bilanz-Pressekonferenz über ihre Energiereise betonte sie jedoch die Unverzichtbarkeit von Atom- und Kohlestrom, bis zig Jahre später – nämlich im Jahr 2050 – die erneuerbaren Energien die Hälfte des Energiebedarfs decken sollen.

In Folge der Katastrophe von Fukushima musste sie auf Grund öffentlichen Drucks im Atomenergiesektor zurückrudern. Nach wie vor stellt aber die Kohleverstromung – mit Braunkohlenutzung als klimaschädlichste Form der Stromerzeugung – den Hauptanteil der Energieproduktion in Deutschland. Es werden aktuell nicht nur Kohlekraftwerke ausgebaut und neu gebaut, es sind sogar noch ganz neue dieser am stärksten klimabelastenden Kohlekraftwerke in Planung.

Die technologische Entwicklung beim Einsatz erneuerbarer Energien im Baubereich ist seit 2010 enorm vorangekommen. Die Politik jedoch hat hinsichtlich der Vorgaben für den Bausektor auch heute noch nicht einmal den Stand der Möglichkeiten von 2010 erreicht. So ist z.B. das Erneuerbare Energien Wärmegesetz (EEWärmeG) seit 2008 unverändert, was die Anteile der Erneuerbaren am Wärme- (und Kälte-)-Energiebedarf von Neubauten betrifft. Der Anteil an Gebäuden, in denen Technik zur Erzeugung und Nutzung von erneuerbaren Energien verbaut ist, ist auf Grundlage dieses Gesetzes zwar gestiegen, jedoch sind in den letzten zehn Jahren etwa 1 Million Gebäude mit über 2,1 Millionen Wohnungen fertiggestellt worden, die sehr weit unterhalb des machbaren Energiestandards und Klimaschutzes bleiben. Das heißt, diese Gebäude sind zum Zeitpunkt der Errichtung bereits veraltet gewesen. Weil die von der Gesetzgebung geschaffenen Rahmenbedingungen im Bausektor rückständig sind. Das betrifft auch den unvermindert hohen Anteil an Zementbaustoffen, die mit ihrem sehr hohen Energiebedarf und Emissionsniveau bei der Herstellung zu den ganz großen Klimaschädigern zählen.
Rund 300 Milliarden Euro Investitionen – vom Gesetzgeber und der Exekutive gewollt – in rückständige, mehr als nötig klimabelastende Substanz, die in zig Jahren Nutzung weitere völlig unnötige Klimabelastung aufsummieren wird.

Das sind die Rahmenbedingungen, denen ich mich mit meinem Anliegen, möglichst klimaschonend zu leben, das heißt auch möglichst klimaschonend bzw. idealerweise klimaneutral zu wohnen, gegenüber sehe. Ein nahezu aussichtsloses Unterfangen, da auf Grund des extrem geringen Angebotes wirklich klimaschonenden Wohnraums die Preise für solche Wohnungen mit durchschnittlichem oder niedrigerem Einkommen unbezahlbar sind.

Die wesentliche behindernde Kraft und damit die meine Gewissensentscheidung und das Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit untergrabende Macht sehe ich beim Gesetzgeber und der Exekutive angesiedelt.“

Es wird möglicherweise eine Zeit dauern bis vom Bundesverfassungsgericht etwas zu der Verfassungsbeschwerde mitgeteilt wird. Über die weitere Entwicklung werde ich hier berichten.

Ich fühle mich ausgesprochen gut damit, neben den vielen ‚kleinen‘ individuellen Bemühungen, ein klima- und umweltschonendes Leben hinzukriegen, jetzt auch so einen großen Schritt zu machen.

Ich beschäftige mich jetzt schon sehr lange mit Umwelt- und Klimathemen. Rund 40 Jahre sind es. Seit Studienbeginn auch auf naturwissenschaftlicher Ebene. Und nach dem Abschluss des Geologiestudiums durchgehend bis heute und zunehmend intensiver.

Die Politik ist in der gesamten Zeit nicht wirklich gestaltend unterwegs gewesen, eine gute Perspektive zu schaffen. Was geschehen ist, waren Reaktionen auf Mahnungen aus der Wissenschaft und auf öffentlichen Druck hin. In Folge der sehr ungenügenden politischen Entscheidungen ist auch in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung einiges aus dem Ruder gelaufen.
Die Umwelt- und Klimaprobleme heute abzumildern – aufzuhalten ist vieles bereits nicht mehr – wird ein Vielfaches teurer als hätte man frühzeitig gehandelt. Das sind Kosten, die auf alle Bürger umgelegt werden – obwohl viele davon genau ein früheres Handeln eingefordert haben.
Stattdessen haben sich Bundestag, Bundesrat sowie Bundesregierung seit der Ratifizierung der Pariser Klimavereinbarung immer weiter aus Umwelt- und Klimaschutz zurückgezogen. Sogar verbindliche internationale Verträge sind gebrochen worden, nationale Staatsziele untätig verfehlt worden. Als wären die politisch Verantwortlichen der Meinung, ihre Handzeichen bei Abstimmungen oder ihre Unterschriften unter Verträge hätten die Probleme bereits gelöst.

Im Zuge der letzten Koalitionsverhandlungen ist mir dann der Kragen geplatzt und so bin ich heute einer der Beschwerdeführer.
Herr Schellnhuber vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung hat es sinngemäß so ausgedrückt: Wenn wir im Klimaschutz nicht maximale Anstrengungen unternehmen, dann werden im Vergleich zu den Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels alle anderen Probleme auf der Erde bedeutungslos werden.

Ich werde über den weiteren Gang der Verfassungsbeschwerde sowie über Beobachtungen und Gedanken zum Thema auf dieser Seite berichten.

Wer Fragen hat, soll sich nicht scheuen, mir eine Nachricht zu schreiben. Ich antworte so schnell es geht mit weiteren Informationen.

Ich stehe auch Medienvertretern für Fragen und mit weiteren Informationen gerne zur Verfügung. Ich bitte dabei um Verständnis, dass ich über die anderen Beschwerdeführer und deren Betroffenheitsdarlegungen kein Wort verlieren werde.

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