Die ungesehene Dimension
Kommentar zum Stand der Klimakrise und meiner „Klimaklage“ vor dem Bundesverfassungsgericht.
Momentan ist die Corona-Krise das Thema Nummer 1. „SARS-CoV-2“ hat „CO2 und Co.“ in allen Medien und damit in der öffentlichen Wahrnehmung abgelöst. Irgendwie zurecht. Und doch auch erstaunlich. Gerade was den politischen Umgang damit angeht, besser gesagt, den politischen Umgang mit dem anderen Thema.
Da haben sie sich tatsächlich nackt ausgezogen. Vor SARS-CoV-2 haben die mit Entscheidungsverantwortung und -auftrag ausgestatteten Politiker ihre Mantren der angeblichen Unleistbarkeiten aufgegeben. Das ist gut so. Plötzlich ist machbar und wird sogar in bislang undenkbar kurzen Zeitfenstern getan was vorher als unmöglich bezeichnet wurde. Weil eine konkrete Bedrohung an die Türen geklopft hat. Auch an die Türen der Parlamente und Ministerien. Die konkrete Gefahr heißt Tod. Schon immer Bestandteil der Existenz, doch seit wenigen Jahrzehnten zunehmend erfolgreicher verdrängt. Milliardeninvestitionen in Pharma, Technologie und Medizin haben das durchschnittliche Sterbealter immer weiter ansteigen lassen. Tod erscheint irgendwie doch verhandelbar. Zumindest ein bisschen. Zumindest für den kleinen Teil der Weltbevölkerung, die sich die Lebenserhaltungsmaschinerie leisten können. Sie hat sich zu einem Wirtschaftsfaktor entwickelt. Finanziert durch ebenso stetig steigende Versicherungsbeiträge, in die auch die Gewinne der wachsenden Zahl privatisierter Kliniken eingepreist sind.
An Infektionen mit SARS-CoV-2 werden global viele Zigtausend Menschen sterben. Das ist tragisch und ich habe großes Mitgefühl für alle, über alle territorialen Grenzen hinweg, die geliebte Menschen durch das Virus verloren haben und noch verlieren werden.
Ich habe auch großes Mitgefühl für alle, über alle Grenzen hinweg, die durch den verschleppten Klimaschutz der Regierungen weltweit Not leiden, Tote beklagen oder selbst in ihrer Existenz bedroht sind.
Es geht mir in keiner Weise um ein Gegeneinanderausspielen der tragischen Krisen. Es geht einzig um die massiven Unterschiede im Umgang mit Krisen – und um die Frage warum das so ist.
Einerseits schnelle und weitreichende Reaktionen wenn im Fernsehen zu sehen ist wie Militär-LKWs Särge mit COVID-19-Opfern abtransportieren (Italien). Wieviel Geld dann plötzlich für Maßnahmen verfügbar gemacht wird.
In Bezug auf die andere Krise, die ungebremste Klimaerhitzung, herrscht seit Jahrzehnten eine andere Haltung. Im wesentlichen ist es ‚business as usual‘ und ein Schielen darauf, was ein Teil der Wirtschaft zur Befriedigung des sinnentleerten Profitstrebens ‚braucht‘. Warnungen und konkret berechnete Szenarien der Klimawissenschaftler werden nicht ausreichend ernst genommen, obwohl eine vielfache Zahl von Menschen – und ungezählte andere Wesen – ohne große mediale Beachtung auf Grund der Klimakrise in den letzten Jahren dahingestorben sind. Und absehbar wird eine viel-zigfache Zahl weiterer Menschen dieses Leid noch erleben.
Wo bleiben da entschlossene schnelle Reaktionen und Entscheidungen, der Krisenursache zu begegnen? Wo bleiben die Maßnahmen, Emissionen schneller und umfangreicher zu reduzieren? Da hat man bisher vor allem gehört, das müsse ja auch leistbar sein und bleiben. Da hat man gehört, ein schnellerer Wandel würde Arbeitsplätze kosten. Und die Versorgungssicherheit gefährden. Nicht belegte bzw. leicht widerlegbare Behauptungen.
Warum wird die „Überlebensmaschinerie Natur“, mit Klima als wesentlichem Teil davon, politisch derart vernachlässigt? Nicht missbraucht, würde sie allen nutzen und dabei kaum etwas kosten.
Braucht es wirklich die Unmittelbarkeit einer Lebensbedrohung, die Bewegung in den politischen Zirkus bringt und zu Handlungen führt? Braucht es das unmittelbare ‚Wiederwahrnehmen‘ des verdrängten Todes? Auf welchem humanitären Entwicklungsstand, im menschenrechtlichen Sinne, bewegt sich das?
Und ist es, dass je größer das Drohbild dann erscheint (oder gemacht wird?), ab Überschreiten einer gewissen Schwelle die Handlungen dann wieder umso fragwürdiger werden? So habe ich es als respektlos und kalt empfunden, als die Bundesumweltministerin und das UBA bei der Bekanntgabe der ersten Schätzung der Emissionszahlen für das letzte Jahr, zwar mit Hinweis auf fehlende Nachhaltigkeit, aber doch damit geliebäugelt haben, dass die Beschränkungen im Zusammenhang mit der Coronakrise einen Anteil daran haben können, die 40 Prozent Emissionsreduzierung bis zum Jahresende (im Vergleich zu 1990) vielleicht doch noch zu schaffen. Das muss im Kontext gesehen werden, dass die Bundesregierung gerade erst die Blockade des Windenergieausbaus aufrechterhalten hat und auch der Ausbau der Solarenergie seit Jahren eher als gebremst bezeichnet werden muss. Wohl aber fließen nach wie vor Subventionen im Zusammenhang mit fossilen Energieträgern.
Das alles wenige Monate nachdem im „Monitoringbericht der Bundesregierung zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel“ veröffentlicht ist:
„Das Jahresmittel der Lufttemperatur ist im Flächenmittel von Deutschland von 1881 bis 2018 statistisch gesichert um 1,5 °C angestiegen. In den zurückliegenden Jahrzehnten zeichnet sich ein Trend zunehmender Hitze-Extrema ab. Insbesondere die Zahl der „Heißen Tage“, an denen die höchste gemessene Temperatur 30 °C oder mehr beträgt, hat signifikant zugenommen (Indikator GE-I-1). Auf der Grundlage bundesweiter Daten zeigt sich, dass im Jahr 2003 etwa 7.500 Menschen mehr gestorben sind als ohne Hitzewelle zu erwarten gewesen wäre. Für die Jahre 2006 und 2015 ergeben sich jeweils etwa 6.000 zusätzliche Todesfälle (GE-I-2).“
Die zugehörige Grafik steht auf S.34 (auch mit Größenordnungen für die anderen Jahre seit Jahrtausendwechsel) sowie Informationen zur Methodik auf den Seiten 34 und 35 des Monitoringberichts. Über 37.000 zusätzliche klimakrisenbedingte Todesopfer in der Zeit von 2001 bis 2015, alleine in Deutschland. Und die wärmsten Jahre – für die noch keine Zahlen veröffentlicht sind – kamen erst danach.
aus: „Monitoringbericht 2019 der Bundesregierung zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel“
Dennoch ist es unverändert erforderlich zu kämpfen, dass das Notwendige, der Klimakrise zu begegnen, endlich politisch beachtet wird und angemessen in konkrete emissionsreduzierende Entscheidungen und Handlungen einfließt.
Dass die THG-Emissionen zwar langsamer als erforderlich aber dennoch, nach langem Stagnieren auf hohem Niveau, aktuell rückläufig sind (das sagen die Publikationen des UBA und des Bundesumweltministeriums) ist Mitnichten ein politischer Erfolg, sondern in Teilen ein Resultat der Klimaerwärmung und damit sinkenden Wärmeenergiebedarfs und ansonsten ein Erfolg derjenigen Menschen, die in ihrem privaten sowie Arbeits-Umfeld – trotz Behinderung durch schon Jahrzehnte währende rückständige politische Normierung – nach Kräften und Möglichkeiten auf dem Weg zu mehr Klima- und Umweltschutz unterwegs sind.
Teilantworten auf meine Frage nach den Unterschieden im Umgang mit Krisen konnte ich ableiten aus den Stellungnahmen von Bundestag und Bundesregierung auf die Verfassungsbeschwerde von SFV, BUND und elf Einzelklägern (www.klimaklage.com), von denen ich einer bin.
Aus den Stellungnahmen lese ich erschütternde Haltungen gegenüber den Grundrechten und Bürgerinteressen heraus.
In zahlreicher Wiederholung wird darin behauptet, es gebe „weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum“ für Bundestag und Bundesregierung, der Klimakrise zu begegnen. Deshalb sei die Forderung nach Emissionsreduzierung nicht begründet.
Offenkundig ist der auf Naturgesetzen beruhende zwingende Zusammenhang zwischen Treibhausgasen und Temperaturerhöhung, d.h. Klimawandel und seine Folgen, nach rund dreißig Jahren verständlicher wissenschaftlicher Kommunikation in die Politik immer noch nicht verstanden – oder wird weiterhin ignoriert.
Darüber hinaus ist es schon bizarr, solche „Spielräume“ für einen weitgehend untätigen Gesetzgeber zu beanspruchen.
Das tatsächlich Neue an der neuen Dimension Klimawandel ist, dass die bisher angewendeten menschengemachten Ordnungssysteme versagen, da sie das von Naturgesetzen bestimmte, dynamische Gleichgewichts- bzw. Ausgleichssystem der Natur des ganzen Planeten Erde, auf dem die Lebensgrundlagen beruhen, überlastet haben.
Mit Naturgesetzen lässt sich nicht verhandeln. Die Folgen eines Fortsetzens der Überlastung richten sich – auch das geht aus Naturgesetzen hervor und ist in Form der Klimakrise zu sehen – gegen die Menschen und die allgemeinen Lebensgrundlagen.
Es kann nur immer tiefer in die Krise führen, sich auf Gesetze zu berufen, die diese neue Dimension nicht erfassen.
Das Geschehen des Klimawandels ist mit einer Exponentialfunktion vergleichbar. Mit fortschreitender Zeit potenzieren sich die Auswirkungen des Geschehens. Die Zeit, in der mit überschaubarem Aufwand ein Gegensteuern möglich gewesen wäre, so wie seriöse Wissenschaft (IPCC und WBGU) es frühzeitig belegt und gefordert hat, ist verstrichen. Der für die Erhaltung der allgemeinen Lebensgrundlagen erforderliche Aufwand ist inzwischen erheblich größer geworden. Noch ist es aber möglich. Es verbleibt maximal das gerade begonnene Jahrzehnt für die Durchführung der klaren Trendwende, das heißt die Treibhausgasemissionen in sehr großem Maß zu reduzieren und Anpassungsmaßnahmen an die auf lange Zeit bereits unabwendbaren Klimawandelfolgen effektiv zu installieren.
Die Klimawissenschaft legt sehr deutlich die gegenwärtigen gravierenden Defizite im politischen Handeln sowie auf der nachfolgenden Ebene tatsächlich praktischer Maßnahmen offen.
In den Argumentationen der Legislative und Exekutive wird uns eine Verfassungsbeschwerdebefugnis abgesprochen weil wir uns ja nicht auf ganz konkrete Verstöße gegen konkrete bestehende Gesetze beziehen würden.
Wenn, wie hier auslösend für unsere Verfassungsbeschwerde, die zur Erhaltung der Lebensgrundlagen notwendigen Gesetze nicht existieren und mit der Beschwerde der Weg zur Normierung bereitet werden soll, ist die Forderung, konkrete Gesetze zu benennen, nicht erfüllbar.
Jedoch kann der tiefere Sinn der Verfassung nicht sein, dass genau aus der gesetzgeberischen Untätigkeit heraus entstehende regelungsfreie Bereiche – mit Grundrechte verletzenden Folgen – unangreifbar bleiben, solange der Gesetzgeber einfach weiter untätig bleibt.
Die Klimakrise stellt eine völlig neue Problemdimension dar, die dringend nach einer umfassenden juristischen Normierung ruft, insbesondere hinsichtlich angemessenen wirksamen Maßnahmen, die Schädlichkeit der Krise so weit nur machbar abzuschwächen. Es kann nicht angehen, dass durch Mangel an Regelung entstehender rechtsfreier Raum benutzt wird, um diejenigen schützen zu wollen, die den durch Wahl erteilten Auftrag zur Regelung haben und diesen nicht ausführen.
Auch sagen die juristischen Vertretungen von Bundestag und Bundesregierung, dass all die in den Klimaschutzplänen 2030 und 2050 sowie die im Klimapaket von 2019 formulierten „Strategien“, „Pläne“ und „Zielformulierungen“ verfassungsrechtlich nicht von Bedeutung seien, also mit Blick auf die Schutzpflicht den Bürgern gegenüber nicht bindend.
Damit wird für das politische Reden und Handeln quasi absolute Beliebigkeit in Anspruch genommen, solange etwas nicht in konkret formulierten Gesetzestexten fixiert ist.
Tagesthemen und Heute Journal könnten auf maximal eine Fünf-Minuten-Sendung wöchentlich reduziert werden, weil jede(r) Abgeordnete und Minister*in erzählen kann was immer gerade einfällt – alles nicht bindend, alles ohne Relevanz. Auch wenn es menschenrechtsverletzende Folgen hat – solange nur kein konkretes Gesetz für den Sachverhalt existiert. Und das hieße – der Ansicht der Rechtsvertretung des Bundestages folgend – je weniger Gesetze es zum Klimaschutz gibt, auf die man sich beziehe könnte, umso besser der Schutz für die Untätigen.
Ich hoffe, die Richter des Bundesverfassungsgerichts werden sich das nicht bieten lassen.
Es gibt viele Stellen in den Stellungnahmen mit unzutreffend vereinfachenden Zusammenfassungen und sogar Verschleierungen, als seien „Schäden an Rechtsgütern“ nur „vorhersehbar“ oder „wahrscheinlich“. Das kommt einem Ignorieren der im Monitoringbericht der Bundesregierung genannten klimabedingten tatsächlichen Hitzetoten, Überschwemmungsschäden etc. gleich. Manche der Darstellungen empfinde ich sogar als gefährlich nahe an der Kommunikationsart der Klimawandelleugner. So auch die Ausflucht, Deutschland könne auch mit Nullemissionen die Situation (global) nicht entscheidend verändern. Dem folgt die Ablehnung von Emissionsreduzierungen als wichtigstem Instrument, der Klimakrise zu begegnen. Ein nicht näher beschriebener fiktiver Mix anderer Maßnahmen wird dem entgegengestellt. Als hätte IPCC nicht immer wieder betont, dass Anpassungsmaßnahmen kein Ersatz sondern nur Ergänzung sein können während die THG-Emissionen drastisch gesenkt werden. IPCC stellt auch dar, das die Kosten für Anpassungsmaßnahmen exponentiell umso mehr ansteigen je länger die Reduzierung der THG-Emissionen hinausgezögert wird.
Mit am meisten hat mich eine Position der Bundesregierung erschüttert. Die juristische Vertretung der Bundesregierung bezieht sich auch auf den Beschluss des Berliner Verwaltungsgerichts vom 31. Oktober 2019 zur dort vorgebrachten Klimaklage dreier Familien aus der Landwirtschaft, sowie auf die Klageabweisung des Europäischen Gerichts vom Mai 2019. Hier wird die Argumentation geführt, dass eine Klagebefugnis nicht bestehe, wenn „jedes Individuum auf die eine oder andere Weise vom Klimawandel betroffen“ ist. Alleine eine andere Art von Betroffenheit auf Grund des Klimawandels begründe keine Klagebefugnis. Dafür müsse man sich mit den individuell erfahrenen Grundrechte-Verletzungen schon in besonderer und ganz erheblicher Weise von der Masse der Betroffenen abheben.
Das ist eine bemerkenswerte Einstellung den in den Grundrechten betroffenen Menschen gegenüber. Gerade weil es so immens viele Menschen betrifft. Genau darauf begründend eine Klagebefugnis abzulehnen, bedeutet, die massenhaft unverantwortlich handelnden (oder eben nicht-handelnden) Organe der Legislative und Exekutive unangreifbar zu machen.
Es kann nicht der tiefere Sinne der Verfassung sein, lebensbedrohendes Verhalten der Legislative und Exekutive unter Schutz zu stellen – weil die Menschen insgesamt betroffen sind.
Es wäre möglich, die Bedrohung abzuwenden. Diese Möglichkeit wird aber, trotz Wissen über die schädlichen Konsequenzen, nicht angemessen genutzt. Deshalb kann ich das Argumentationskonstrukt der Bundesregierung und der genannten Gerichte nur als menschenverachtend und insgesamt lebensverachtend bezeichnen.
Ein entscheidender Teil der Maßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID-19 stellt Einschränkungen von Grundrechten dar. Eine Entscheidung für zeitnahen angemessenen Klimaschutz ist eine Entscheidung, Grund- und Menschenrechte zu schützen.
Oder müssen wirklich erst größere Zahlen von Hitzetoten auf der Freifläche zwischen Bundestag und Kanzleramt umfallen, dass drinnen in den Gebäuden die Dimension der Klimakrise erkannt wird?
Der Bundesrat hat übrigens mitgeteilt, dass man sich gar nicht zu unserer Verfassungsbeschwerde äußern will. Das ist natürlich auch eine Haltung gegenüber den von der Gemeinschaft der Beschwerdeführer benannten Verletzungen von Grundrechten.
Dazu kann ich nur Greta zitieren: „How dare you.“ – Wie könnt ihr es wagen…
Andreas Sanders
Schlagworte: Klima, Klimakrise, Klimaschutz, Verfassungsbeschwerde